Roswitha Weingrill

Von Rohbau und Obdach

Eva Pichler, Korso Das nachhaltige Magazin für Graz und Steiermark 2010

Wer die Möglichkeit hat, in der Innenstadt essen zu gehen, kann die verschiedensten Kulturen kennen lernen. Das ist ganz gewiss schick, wahrscheinlich nicht ganz billig und
sicherlich sehr gekünstelt.
Reales Kulturleben existiert  anderswo. Zum Beispiel in der kommunalen Wohnsiedlung „Am Schöpfwerk“.
Nicht noch ein abgehobenes Kunstprojekt nahezu unkommentiert in ein Problemfeld „hineinstellen“ – das war das Credo von vier Kunststudentinnen, Eva Engelbert, Marlene Hausegger, Tina Oberleitner und Roswitha Weingrill, als sie begannen, sich mit diesem Wiener Stadtteil  aus den frühen 80er Jahren auseinanderzusetzen. Mit 5000 Bewohnern und 20 verschiedenen Sprachen. Und so ist es dann auch geworden. Ganz anders. Das Resultat fühlt sich gut an, handlich, und schafft es, zumindest einige der Bewohner mit Stolz zu erfüllen. Dass sie etwas von sich weitergeben durften, ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen konnten. Dass etwas nahezu Selbstverständliches interessant wurde. „Hier wird nur mit Liebe gekocht“ ist eine partizipatorische Kochbuch-Kunstwerk-Collage, die so ganz nebenbei 20 verschiedene Menschen und ihre (Ess)kulturen vereint. Lebensrealität, wie sie auf den Tisch kommt. Ein gemeinsamer Nenner, der gegenseitige Akzeptanz aufbauen hilft.

Was wir über das Lager denken. Das nächste „Kunst“-Buch der vier ist bereits in Arbeit und wird von Traiskirchen handeln. Jener Stadt, die mit einem Auffanglager für Flüchtlinge gleichgesetzt wird. Wie es „dort“ ist, reißt zu Spekulationen hin, die hin und wieder von Medienberichterstattung gespeist werden. Sich einfach nur Zutritt zu verschaffen, scheint den Künstlerinnen nicht genug. Was sollte man dort auch machen? Eine Fotoreportage? Man tastet sich also von außen an das Lager heran, befragt Menschen, über das, was sie wissen, was sie gehört haben. Buntgemischt. Jene, die dort arbeiten, Rechtsanwälte, die Fälle von Flüchtlingen übernehmen, BewohnerInnen des Ortes, BetreuerInnen seitens der Kirche, NGOs. Ein Umkreisen der „einen“ Wahrheit, das ein lebhaftes, weil mehrdeutiges Bild zeichnen wird.

Kosovarische Rohbauten. Roswitha Weingrill hat  selbst ehemalige Flüchtlingsgebiete
besucht. Die Wiener Festwochen ermöglichten mit „Into the City“ eine Begegnung mit
Kosovaren, die in Österreich
leben und arbeiten – in der Folge machte man sich ins ehemalige Krisengebiet auf, um deren Familien kennen zu lernen.
Vorort ist der Wiederaufbau  im Gange. Man arrangiert sich. Vieles ist Provisorium. Nach zehn Jahren sind es ziegelrote Rohbauten, die die ländliche Landschaft bestimmen. Wie Skelette manifestiert sich in ihrer Unfertigkeit die stete
Ungewissheit dieses Landstrichs, der so viel zu erdulden hatte und sich scheinbar scheut,
erneut tiefe Wurzel zu schlagen. Und endlich Verputz aufzutragen. Roh zahlt weniger Steuern.
Die Unvollkommenheit visualisiert ebenso die zerstreuten Familienstrukturen: um Altes hat man herumgebaut, für neue Familienteile Anbauten dazugegliedert. Drinnen ist es trotz allem gemütlich, auch wenn unbeheizte Räume an jene denken lassen, die im Ausland arbeiten und „nur zu
Besuch“ in die Heimat kommen. Die strenge „Ziegelführung“ lässt in den Bildern  allerdings keinen Blick auf dieses Dahinter zu, legt Assoziationen mit bunkerartigen Gebilden nahe.
Über „Anti“ und Animation. Mit rasch hingekritzelt wirkenden Bildern wie „Hahaha, ich bin der Antiwitz“ wird von Roswitha Weingrill der künstlerische Prozess als solcher thematisiert: Zum ersten
Arbeitsschritt, dem Auspacken der Leinwand, ist es gar nicht erst gekommen, ihre durchsichtige Verpackungshaut fungiert als „äußerer“ Bildträger, der vielleicht eine Vorarbeit dokumentieren könnte. Das Anti-Bild, das eine Zwischenstufe darstellt, deren Veränderungen das Bild an sich ja gar nicht betreffen, nur seine „Schutzhülle“ antasten. „Anti“ stellt dabei als Vorsilbe eben jene Frage nach Wertigkeiten. Und Humor.
In animierter Form werden aus Roswitha Weingrills Zeichnungen kleine, reduzierte Filme, die Alltagsphänomene reflektieren: „Erbaut der Plan“ zeigt das Verhältnis zwischen Menschengruppe und Gebäude – die Verrenkungen der
architekturbegeisterten Fotografen vor Le Corbusiers Unité. In „Jammerlappen“ versetzt sie sich in einem Selbstportrait durch stetes Raunzen in eine Art Trance, bei „Immer währt am Längsten“ wird das farbige Ausfließen, das durch oftmaliges Kopieren entsteht, mit der Beobachtung des steten Auftauchens und Verschwindens von Passanten vom Wohnungsfenster aus kombiniert.

Wo das Dach fehlt. In ihren Arbeiten über Obdachlosigkeit („Stadt und ObDach“), die im Rahmen eines Projektes mit der Armutskonferenz und der Wiener Straßenzeitung Augustin entstanden, hat Roswitha Weingrill eine feine Symbolik entwickelt. Eine Art Platzhaltersystem, das die Ausgestoßenen vorsichtig in die Malerei überführt. Menschen ohne feste Wohnung sind der Gesellschaft schutzlos ausgeliefert. Das Schamgefühl, das durch diesen Mangel an der Lebensgrundlage hervorbricht, will sie nicht verletzen.
Aber wie geht man als Künstlerin mit sozialen Problemen um, wo ist die Grenze zur
Sozialarbeit, zur journalistischen Reportageübung. Roswitha Weingrill komponiert sehr symbolische Bilder, ihrer subtilen Kraft vermag man sich kaum zu entziehen, wenn man die kindlich wirkenden Codes erst entziffert hat: „Vollwertige“ Menschen haben ihre kleinen Häuschen, drängen sich dicht aneinander, Dach an Dach. Obdachlose müssen mit grünen Drehstühlen auskommen, schlittern durch diese abweisenden Stadtkonglomerate, ohne Anschlussmöglichkeit. Sie haben keinen festen Stand, keine Bezugspunkte. Oft wird mit Scheinwerfern wie mit dem Finger auf diese Drehstühle gezeigt. Wird ihr Scheitern vorgeführt.
Es geht Roswitha Weingrill nicht um Gesichter, oder Schicksale. Auch wenn Eindrückliches aus den Gesprächen mit den Augustin-Verkäufern in Textfragmenten auftaucht. Vielmehr darum, dass uns all das nicht so fern liegt, wie wir immer glauben. Dass das Sicherheitsnetz durch einige unglückliche Zufälle plötzlich auch reißen kann. Und die Person ohne alle, ohne alles dasteht. Als grüner Drehstuhl.


|Eva Pichler

http://korso.at/content/view/4104/98/