Roswitha Weingrill

ERLEICHTERUNG IN DER EINBILDUNG DER ANDEREN

Robert Pfaller, Katalog zur Ausstellung "Dach und Fach" 2009

„Kosovarische Rohbauten“ nennt Roswitha Weingrill ihre Serie – mit einem Titel, der dem Gegenstand der Arbeiten an Lapidarität auf den ersten Blick ebenbürtig erscheint. Etwas Lapidares haben auch die Arbeiten selbst, insofern sie Steine darstellen - Backsteine, in mehr oder weniger vorgefundenen oder phantasierten Anhäufungen, zur Vorbereitung oder als unverputzte Teilverwirklichungen von Bauvorhaben im Kosovo. So, wie man die Zeugnisse vergangener Kulturen in Lapidarien, Sammlungen ihrer prominenten Steine, aufbewahrt, betrachtet auch Roswitha Weingrill die Backsteine im Kosovo als signifikante Zeugnisse - sowohl eines vergangenen Krieges, der nun zu hastiger Bautätigkeit zwingt, als auch einer ungewissen Zukunft (z. B. möglicher Raumfolgen), die erst in Fragmenten vorliegt und zudem durch diese selbst bereits auch teilweise verbaut erscheint. Insofern wirken die Steine nicht nur als von der Künstlerin präzise erkannte Materialisierungen von Leid und Tragik, sondern auch einer gewissen Tragikkomik.

Diese Ausgangslage trifft und überlagert sich nun mit einer Stimmung, die sich nicht dem Gegenstand, sondern dem Repertoire an Darstellungsmitteln der Künstlerin verdankt: einer Freude am Detail und an der Miniatur, etwas übergenau Ausgeführtem, Schillerndem; etwas, das in seiner heiteren Sauberkeit sowie durch die scheinbare Unbekümmertheit und Naivität, mit der die bunten Ziegelmuster manchmal zu bloß graphischen, völlig zweidimensionalen Flächenfüllern mutieren, vielleicht sogar an die trügerisch heile Welt von Kinderbuchillustrationen erinnern könnte, obwohl es doch (wie man sich sofort selbst in Erinnerung ruft) genau vom Gegenteil herrührt und erzählt. Diese Überlagerung und Überschreibung des im Kosovo Beobachtbaren durch das, was aus der Formensprache der Kunst stammt, setzt sich fort in gewissen Erinnerungen an die jüngere Kunstgeschichte, welche diese Arbeiten wachrufen: an den spröden Charme der säuberlich gestapelten Ziegel, Holzstücke, Kisten, Brettergestelle, Platten und Paletten, die (etwa bei Robert Morris, zusammen mit ihrem eigenen Baulärm) eines der typisch gewordenen Erkennungszeichen von Minimal und Concept Art bilden, oder auch, im Speziellen, an die Backsteinskulpturen von Per Kirkeby aus den 70er und 80er Jahren.

Auf diesem Weg erzeugen die Arbeiten von Roswitha Weingrill ein bestimmtes "als ob": Es scheint glatt so, als ob das Wirkliche eine Erfindung der Kunst wäre; ähnlich wie das italienische Sprichwort von bestimmten Dingen sagt, daß sie, wenn sie nicht wahr sind, immerhin gut erfunden seien. Allerdings scheint es nicht uns selbst so - denn wir wissen ja (so meinen wir wenigstens) aus unzähligen Fernsehbildern über die traurige Vergangenheit des Landes einigermaßen bescheid; aber irgendjemand anderem, einem anonym bleibenden Anderen, könnte es so scheinen. "Man hätte glauben können..." und "ich weiß zwar, dennoch aber scheint es so als ob..." - dies sind, wie der Psychoanalytiker Octave Mannoni gezeigt hat, die elementaren Formeln eines bestimmten Vergnügens, das in der Kunst wie in der Alltagskultur auftritt: zum Beispiel beim Zaubertrick im Variété, wo wir ja auch wissen, daß nichts Übernatürliches geschieht, aber dennoch große Freude empfinden, wenn die Illusion so geschickt zur Darstellung gelangt, daß irgendjemand anderer doch hätte glauben können, es wäre so. Ebenso entsteht bei uns Freude, wenn eine Kunst uns eine bestimmte Wirklichkeit so vorführt, daß jemand anderer hätte meinen können, sie wäre erfunden.

Die Leistung, welche die Arbeiten von Roswitha Weingrill angesichts der trostlosen Ausgangslage im bereisten Kosovo erbringen, ist genau darum beträchtlich. Indem sie die Heiterkeit ihrer künstlerischen Sprache an die alles andere als heitere Wirklichkeit heranträgt und sie an einem sehr präzise bestimmten, aussagekräftigen Punkt zur Deckung bringt, beschönigt die Künstlerin nichts - aber sie tröstet: Wir wissen nach wie vor, wie es ist und rufen uns dazu (übrigens auch dank der Kunst) schreckliche Vorstellungen und Erinnerungen wach; aber mithilfe der von der Kunst erzeugten Illusion, die nicht die unsere ist, können wir ein anderes Verhältnis dazu gewinnen. Die Arbeiten von Roswitha Weingrill heben das an den Spuren sensibel abgelesene Leid auf - in jenem mehrfachen Sinn, den der Philosoph Hegel dem Begriff "Aufheben" abgewonnen hat: sie setzen es erstens außer Kraft, negieren es; sie setzen ihm zweitens zugleich ein Denkmal und konservieren es; und sie heben es drittens auf eine höhere Stufe - auf eine, die es nicht bloß erlaubt, Betroffenheit zu empfinden, sondern auch, diese Betroffenheit durch psychische Arbeit zu überwinden. In diesem Sinn ist es zu verstehen, daß die Freude und sogar der übermütige Witz des Schönen imstande sind, Trauerarbeit zu leisten.

Hieran zeigt sich das Beste, was man über eine Kunst sagen kann, die sich mit einer bitteren politischen Wirklichkeit auseinandersetzt: sie ist deshalb so gelungen, weil man, um sie großartig zu finden, gar nicht hätte wissen müssen, wovon sie handelt. Man hätte auch glauben können, diese Kunst wäre bloß mit ihren eigenen Launen und formalen Vorlieben beschäftigt. Auch diese Illusion ist allerdings im Fall von Roswitha Weingrills Serie – schon aufgrund ihres lapidaren Titels – niemals die unsere gewesen.

 

September 2009

ERLEICHTERUNG IN DER EINBILDUNG DER ANDEREN