Roswitha Weingrill

Mit Richard Kratochwill teile ich die Herkunft aus Weiz und die Bildende Kunst als Betätigungsfeld, doch gehören wir verschiedenen Generationen an. Aber es sind nicht nur Jahre die uns trennen, sondern auch Lebenskonzepte. Obwohl mich Projekte mit zuverlässiger Regelmäßigkeit zurück in die Oststeiermark führen, wohne ich nach meinem Studium immer noch in Wien. Unter vielen meiner Kolleg_innen herrscht die Meinung, dass es sowieso zielführender

sei, es als Künstler_in eher in einem der globalen Kunstzentren wie London oder New York zu versuchen als in Österreich. Zumindest Berlin sollte drinnen sein. Trotzdem scheint es mir, als würden die großen globalen Themen unserer Zeit, beispielsweise die grundlegenden Veränderungen von Arbeitswelten, auch hier in der steirischen Provinz zumindest im Kleinen verhandelt werden. Die überschaubaren regionalen Strukturen haben zusätzlich den Vorteil, dass sie zugänglicher sind. Zugang zur Person und dem Wirken Richard Kratochwills in Weiz und Umgebung erhielten wir bei den Recherchen für diese Ausstellung und Publikation vor allem in zahlreichen Gesprächen mit Wegbegleiter_innen und Zeitzeug_innen, denen ich für ihre Offenheit danke.

 

 

Das Weiz der Jugendzeit Richard Kratochwills war geprägt vom Arbeitgeber ELIN, dem dominanten Weizer Industriebetrieb, dessen Existenz mit der Biografie der Weizer Bevölkerung untrennbar verwoben war. Als Arbeitersohn entwickelte Richard Kratochwill seine künstlerische Praxis autodidaktisch und behielt gleichzeitig seine Anstellung als Technischer Zeichner in der ELIN bis zur Pension. In der Provinzstadt verlagerte sich das Kulturleben oft ins Private, wie Anspielungen auf Diskussionen und Zusammenkünfte im Wohnhaus und Garten der Familie Friedel und Hannes Schwarz vermuten lassen. Reingard Schwarz, Tochter von Kratochwills Mentor Hannes Schwarz, spricht von einer Aufbruchsstimmung, in der man gemeinsam Widerstände in künstlerischer und sozialer Hinsicht überwinden musste. Im Katalog zur Jubiläumsausstellung 2005 der Jungen Gruppe spricht der Künstler Gustav Zankl von einer „Notgemeinschaft“, aus der heraus sich die Junge Gruppe und in späterer Folge das Forum Stadtpark entwickelt haben. Vor allem der Mangel an Ausstellungsmöglichkeiten für junge, neue Kunst in Graz führte dazu, dass die Junge

Gruppe 1953 in Weiz gegründet wurde. Richard Kratochwill ist damals zwanzig Jahre alt gewesen.

 

Im Nachhinein betrachtet hatte sich das Fehlen von Strukturen in der steirischen Kunst- und Kulturlandschaft der Nachkriegszeit als teilweise sogar positiver Aspekt in der Entwicklung neuer Ansätze erwiesen. Ein Konzept wie das Forum Stadtpark wäre jedoch in einem intimen Umfeld wie Weiz kaum möglich gewesen. Abgesehen von einer breiteren Öffentlichkeit sind auch die Reibungsflächen wichtiger Bestandteil eines Diskurses, den eine derartige Institution in ihrer Entwicklung braucht. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Maler und Fotograf initiierte und betreute Richard Kratochwill in seiner Funktion als Kulturreferent zahlreiche Projekte. Unter anderem auch, um sich die Kultur, die er selber gerne erleben wollte, nach Weiz zu holen. Im Gespräch mit Franz Sattler, Nachfolger Richard Kratochwills im Vorsitz der TVN Fotogruppe Weiz, gibt dieser zu bedenken: „Damals hast du nicht nach dem Sinn gefragt, du hast es einfach gemacht. Heute wägt man ab: brauche ich das, ist das notwendig und bringt mir das etwas?“

 

Eine der ersten Aktionen, die Richard Kratochwill initiiert hatte, war die Kulturinitiative Weiz, bei der die Künstler Richard Kriesche und Peter Gerwin Hoffmann über ein Jahr in Weiz arbeiteten. Ihre Strategie bezog stark die Mitarbeit der Anrainer_ innen ein. Sie verteilten Film- und Fotomaterial an Interessierte, um die Weizer_innen dazu zu animieren, ihre Stadt aus neuen Blickwinkeln zu dokumentieren oder widmeten ihr Interesse regionalen Brennpunkten wie dem Aufbau eines Jugendzentrums. Analysiert man die damaligen Ansätze und blättert man die zwei 1977 produzierten Publikationen zur Weizer Kulturinitiative durch, wirken diese auch nach beinahe

40 Jahren noch innovativ. Darüber hinaus unterstützte Richard Kratochwill mit großem Einsatz und geringen finanziellen Mitteln zahlreiche regionale Initiativen unterschiedlicher Art und Größe und leitete damit eine Phase intensiven Kulturlebens in Weiz ein. Der ehemalige Weizer Bürgermeister Willibald Krenn erinnert sich an Großveranstaltungen des steirischen herbstes, die in Ermangelung geeigneter Räumlichkeiten in der Turnhalle der Hauptschule abgehalten werden mussten. Wegen eines noch nicht fertiggestellten Dachs war während der gesamten Aufführung Regenwasser von der Decke in aufgestellte Kübel getropft.

 

Während damals viele Veranstaltungen an improvisierten Orten stattfanden, wurde das fünfzigste Bestandsjubiläum der Jungen Gruppe im neuen, repräsentativen Kunsthaus Weiz mit einer großen Ausstellung gefeiert. Trotzdem sind nicht viele der damals ins Leben gerufenen Initiativen, Gruppierungen und Vorhaben heute noch in Weiz präsent. Kontinuität und Nachhaltigkeit scheinen in einer Zeit der Krisenökonomie schwierig. Mittlerweile sind die damaligen beinahe symbiotischen Strukturen zwischen Stadt und Firma nur noch schwer erkennbar beziehungsweise überhaupt nicht mehr vorhanden, da die Standorte und Industriezweige in Weiz verschiedene neue, internationale Besitzer gefunden haben. Das gemeinsame Kulturreferat der Stadt Weiz und der ELIN führte Kratochwill mit der Überzeugung, dass Kultur und Bildung menschliche Bedürfnisse seien, die genährt werden wollen. Dennoch blieb er in all seinem Handeln innerhalb des Systems der Lohnarbeit, das er nicht in Frage stellte. Die Freizeit, in der Kunst und Kultur geschaffen und genossen werden können, war für Richard Kratochwill immer die zeitweilige Abwesenheit von der Erwerbsarbeit sowie der Regeneration dienlich, damit der Mensch in der Folge gestärkt zur Arbeit zurückkehren könne. In genau diesem Spannungsfeld hat Richard Kratochwill dazu beigetragen, den Menschen in seiner Mehrdimensionalität zu erkennen: nicht nur als arbeitendes, sondern auch als künstlerisch ebenso tätiges wie ansprechbares Individuum.

 

Der Begriff „Volksbildung“ wirkt heute veraltet und hinterlässt einen schalen Beigeschmack im Mund. Bildung hingegen ist ein sehr aktuelles Reizwort, ihr Kosten-Nutzwert etwa wird in Medienberichten zu Schul- und Ausbildungsreformen heiß diskutiert. Parallel dazu wird zu viel Bildung im Kulturprogramm als negativer Aspekt betrachtet und kann sich hinderlich auf die Kulturfördermittelverteilung auswirken. Ob Richard Kratochwills eigene autodidaktische Biografie Beweggrund für seine volksbildende Tätigkeit war, bleibt offen. Er, der selbst keine künstlerische Ausbildung genossen hatte, war der Praktiker, der organisiert, zugelassen und umgesetzt hat.